Warum ist die AfD so erfolgreich?
Shownotes
Moderation: Marco Herack
- Studie: Wie die AfD von Krisen, Ängsten und Benachteiligungsgefühlen profitiert und in neue Schichten von Wählenden vordrang
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Einsprecher: Systemrelevant. Fakten für eine demokratische und nachhaltige Wirtschaft.
Marco Herack: Heute ist Mittwoch, der 30. Juli 2025. Willkommen zur 254. Ausgabe von Sys-temrelevant. Mein Name ist Marco Herack und mich würde ja mal interessie-ren, warum die AfD bei der Bundestagswahl so gut abgeschnitten hat. Denn soweit ich das damals verstanden hab, hieß es, wir haben ganz viele Instant-takes jetzt hier, warum die so gut abgeschnitten hat bei der Bundestagswahl und der Rest folgt später. Und seitdem habe ich nicht mehr viel drüber gehört, was da so passiert ist. Andreas, kannst du mir da helfen?
Andreas Hövermann: Mal schauen. Also, ich hab mir zumindest in den letzten Monaten ganz inten-siv angeschaut, was wir in unseren Umfragedaten dazu rausfinden können, warum die AfD so viel beliebter geworden ist und von so viel mehr Menschen gewählt wurde.
Marco Herack: Das war Andreas Hövermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hans-Böckler-Stiftung im Projekt zur sozialen Lebenslagen Transformation und de-mokratischer Integration. Und ebenfalls heute mit dabei Bettina Kohlrausch. Ich grüße dich. Hallo. Du bist Direktorin des WSI, dem Wirtschafts und Sozi-alwissenschaftlichen Institut an der Hans-Böckler-Stiftung und wir haben heu-te ein bisschen technisch zu kämpfen. Deswegen klingst du vielleicht etwas anders als gewohnt. Ja, und ansonsten vorweg wie immer der Hinweis, dass wenn ihr uns erreichen möchtet, um Ideen, Fragen oder Umut kundzutun, dann könnt ihr uns beispielsweise per E-Mail antickern an systemrele-vant@boeckler.de, also Hinweise, Korrekturen, Unmut und Anregungen bitte einfach per E-Mail einsenden. In den Shownotes findet ihr die Liste der sozia-len Netzwerke sowie unsere weiteren Podcasts. Derer haben wir zwei und wir freuen uns natürlich sehr, wenn ihr uns in einem Podcatcher eurer Wahl abonniert und keine Folge verpasst.
Marco Herack: Ja, Andreas, im Grunde haben wir es ja schon fast vorweggenommen, was wir heute besprechen werden. Du hast dir in aller Tiefe angeschaut, ja, warum die AFD bei der Bundestagswahl so erfolgreich war oder gewesen sein könn-te. Wie formulieren wir das dann am besten?
Andreas Hövermann: Na ja, ich versuche zumindest da Hinweise zu erlangen. Also die letztendli-chen Antworten werde ich sicherlich auch nicht haben, aber ich habe zumin-dest mal geschaut, was wir an Antworten liefern können mit den Daten, die wir haben. Und der Ausgangspunkt war nun mal dieses Ergebnis der Bundes-tagswahl 2025, wo es die AfD geschafft hat, ihr Wahlergebnis bezogen auf die Zweitstimmen zu verdoppeln und mittlerweile über 10 Millionen Wählende in Deutschland hat und wir haben dazu ja das WSI Erwerbspersonenpanel und das ist ein Datensatz, der in vielerlei Hinsicht besonders interessant ist, um sich das anzuschauen.
Marco Herack: Und wenn man sich mal so die Nominalzahlen anschaut, da müssen wir auch sagen, im Westen wählen nominal gesehen viel mehr Menschen die AfD
Andreas Hövermann: D. als im Osten. Gut, ja, das kann man so sagen, ne, nominal gesehen ist das so, prozentual gesehen sieht das anders aus, da sind die Zahlen be-kanntlicherweise ja deutlich höher noch im Osten. Aber ja, genau, wenn man sich alle AfD Wähler und Wählerinnen anschaut, dann sind mehr davon im Westen als im Osten zu finden.
Marco Herack: Ich halte das nicht für so ganz unwichtig, weil es ist halt nicht nur ein Ostprob-lem. Das ist ja die Aussage, die dann auch da drin steckt.
Andreas Hövermann: Absolut, das würde ich absolut genauso unterstreichen und das zeigen auch die Analysen. Also sowohl auch was teilweise Häufigkeiten angeht, aber auch was die Mechanismen angeht, ist es an vielen Stellen nicht ein reines Ost.
Marco Herack: Wo fängt man denn da an bei so einem komplexen Thema? Ich glaube, wir können festhalten, dass die AfD, ich glaube, die hat ihr Wahlergebnis bei den Zweitstimmen so circa verdoppelt, ungefähr. Das heißt, sie hat und ich glau-be, Bettina, wir haben da schon recht lange drüber geredet, sie erschließt ja neue Wählergruppen, neue Wählende und verfestigt die Alten, kann man sa-gen.
Bettina Kohlrausch: Ja, also ich würde auch sagen, das ist 'n zentraler Befund von Andreas' Ar-beit, dass er eben auch noch mal zeigen kann, also glaub, verfestigt die Alten, aber auch welche Neuen die sich eigentlich erschließen und wie das auch gelingen kann, darüber werden wir noch mal reden. Aber vielleicht auch noch mal zu den Daten, das ist ja genau das Gute an, unseren Paneldaten, wes-halb wir auch tiefergehende Analysen eben machen können, weil wir nicht nur wissen, wie die Leute letztes Mal gewählt haben oder bei der letzten Wahl gewählt haben, wir wissen auch, wie sie bei der vorletzten Wahl gewählt ha-ben.
Bettina Kohlrausch: Und wir haben ganz viele Erfahrungen auch natürlich inzwischen abgebildet, weil wir die ja durch die Pandemie begleitet haben. Das heißt, wir wissen, wie sehr sie zum Beispiel von Einkommensverlusten betroffen waren oder die Einschränkungen durch die Pandemie irgendwie sich dadurch persönlich be-troffen gefühlt haben oder die besonders frustriert waren über, über diese Er-fahrung oder wie sehr sie auch unter der Inflation gelitten haben. Das heißt, wir haben die Möglichkeit einerseits wirklich genau zu gucken, wer wählt denn jetzt AfD und hat es vorher noch nicht getan und wir haben auch 'ne gute Möglichkeit und das hat Andreas ja sehr umfänglich gemacht, jetzt mit dem Report auch noch mal sich auf die Suche nach Motivlagen jenseits von die die wenig verdienen, wählen häufiger oder die mit geringerer Bildung wählen häu-figer AfD. Dann noch mal wirklich mehr ins Detail und in die Tiefe zu gehen. Und das glaube ich, ist die ganz große Stärke einerseits unserer Daten und dann eben auch der Auswertung.
Andreas Hövermann: Und ergänzend dazu noch, wir sind mittlerweile bei 14 Erhebungen, also seit Beginn der Pandemie. Das ist wirklich eine hohe Zahl an Zeitpunkten, wo wir die Leute erfragt haben. Wir haben das dann noch mal aufgestockt im Laufe der Zeit. Aber die letzte Befragung war dann kurz nach der Bundestagswahl mit über 6.600 Erwerbspersonen. Das muss man auch an der Stelle noch mal sagen. Das sind Menschen, die entweder erwerbstätig sind oder Arbeit su-chen, also nicht. deckungsgleich mit der Wahlbevölkerung. Also beispielswei-se die große Gruppe der Rentner und Rentnerinnen haben wir da nicht in vol-ler Breite drin.
Andreas Hövermann: Und dennoch sind das an der Stelle auch deshalb noch mal besonders inte-ressante Daten, weil eine Sache mir damit möglich war, nämlich dass ich auch nachzeichnen konnte, wann die Leute innerhalb dieses Zeitrahmens das erste Mal gesagt haben, dass sie AfD wählen. Also ich konnte im Grunde ge-nommen nachzeichnen und schauen, in welchen Phasen die AfD Wähler und Wählerinnen dazu gewonnen hat und wie die sich dann auch unterscheiden und das ist, glaube ich, eine Stärke, die ja die vor allen Dingen dann mit so Paneldaten analysierbar oder herausfindbar ist.
Marco Herack: Wenn du mir das jetzt so hinschmeißt, kann ich ja gar nicht anders, als dich das so auch zu fragen, was treibt denn die Leute zur AfD?
Andreas Hövermann: Das werde ich, glaube ich, jetzt in den nächsten, in den nächsten halben Stunden an vielen Stellen, glaube ich, in verschiedenen Arten und Weisen sozusagen beleuchten können. Weil insbesondere beispielsweise, wenn man sich dieses Thema der Krisen anschaut, dann spielen die, glaube ich, an vie-len Stellen schon eine große Rolle, weil die AfD diese Krisen sehr, sehr gut nutzen konnte. An der Stelle spielt diese Krisen der AfD auf jeden Fall sehr gut in die Hände und insofern glaube ich, dass das ein Faktor war, der der AfD in den letzten Jahren zumindest sehr, sehr stark geholfen hat.
Marco Herack: Also die Krisen, aber warum? Einfach, weil da Krise ist?
Andreas Hövermann: Nee, weil durch Krisen Menschen verunsichert werden, durch Krisen Men-schen Sorgen haben, tatsächlich auch vielen Stellen durchaus auch berech-tigte Sorgen. An vielen Stellen werden die Sorgen aber auch stark verstärkt von der AfD. Und was die AfD geschafft hat, ist einerseits diese Sorgen tat-sächlich zu befeuern, wenn man so will, aber andererseits hat sie es ge-schafft, sich bei den Wählenden auch als einzigen Heilsbringer zu positionie-ren. Also das heißt, es ist was, was wir in anderen Studien auch sehen kön-nen, dass die AfD bei vielen Leuten auch erhebliche Hoffnung auslöst und letztlich für viele ihrer Wählenden sich die AfD auch glaubhaft von den etab-lierten politischen Kräften abgrenzt, also in Sprache, aber auch in Inhalt.
Andreas Hövermann: Und sie steht für sie für einen echten politischen Wandel. Das ist etwas, was man, glaube ich, auch immer verstehen muss, wenn man sich mit den Moti-ven auseinandersetzt, dass die Leute, die die Partei wählen, durchaus auch nicht nur Wut haben auf etablierte Parteien, sondern mit ihr auch eine Hoff-nung verbinden.
Marco Herack: Steckt da nicht auch sehr viel, viel Misstrauen drin gegenüber den anderen Parteien, Bettina.
Bettina Kohlrausch: Klar, also das ist sicherlich, hat das ja 'ne Vorgeschichte, die Entstehung, oder die Erstarkung der AfD und ich glaube schon, dass sowas, das haben wir auch in der Pandemie ganz oft auch gezeigt, empirisch, dass sowas wie 'ne Distanz zum politischen System wiederum auch sehr, sehr viele Ursachen hat, da 'ne große Rolle spielt. Und man kann schon natürlich auch sagen, ich würde nicht sagen, dass das der alleinige Grund ist, aber natürlich hat die Ampel auch mit einfach so schlicht auf der handwerklichen und performativen Ebene wenig dazu beigetragen, jetzt Politikvertrauen zu festigen.
Bettina Kohlrausch: Aber darauf allein würde ich es nicht zurückführen. Ich weiß nicht, wie du das siehst, Andreas, ich würde immer denken, dass wenn wirklich Menschen Ver-trauen verlieren, und das Ganze aufbauen zum politischen System, dass das immer wirklich was mit der grundlegenden Erfahrung zu tun hat und es dann eher noch verstärkt wird durch so 'ne schlechte Performance. Und diese grundlegenden Erfahrungen wiederum speisen sich dann schon auch aus den Krisenerfahrungen, wo wir ja auch zeigen konnten, schon in der Pandemie, dass das System eben für unterschiedliche Gruppen unterschiedlich gut funk-tioniert hat und bestimmte Leute eben auch durchs Raster gefallen sind.
Bettina Kohlrausch: Wir zeigen ja mit unseren Verteilungsberichten zum Beispiel auch, dass wir 'ne Zunahme von Armut haben. Wir haben aber natürlich auch ganz grundle-gende Transformationsprozesse auf dem Arbeitsmarkt, wo bestimmte Grup-pen glaube ich einfach reale Bedrohungsszenarien erleben. Nicht zwingend jetzt ihrer materiellen Existenz, aber zumindest den Bedrohungsverlust von Anerkennung ist das Werk zum Beispiel auch ihrer Qualifikationen ihres Wis-sens. Vielleicht auch 'n Stück weit ihrer Tradition oder Tradition ist falsch ge-sagt, also 'n Stück weit dessen, was sozusagen immer so ihre Gewissheit war, wie sie auf die Welt geblickt haben, also ihrer normativen Perspektive. Und ich glaub, dass alles spielt da schon mit rein, dass das System da wenig Gestaltungsangebote gemacht hat in den letzten Jahren.
Marco Herack: Ich frag das deswegen so, weil das kann natürlich auch bedeuten, Andreas, dass wir quasi alle wissen, es geht von etwas Altem in etwas Neues und dass so das Angebot für das Neue fehlt oder die Idee von dem Neuen und dass dann quasi die AFD die einzige Partei wäre, die dieses Angebot formuliert, auch wenn man dem jetzt nicht zustimmen will, also ich zumindest nicht. Ich will jetzt nicht für andere sprechen, aber dass dann auch so ein Angebot feh-len würde seitens der anderen Parteien.
Andreas Hövermann: Ja, also auf jeden Fall ist ja auch das Angebot, was die AFD da liefert, ja sozusagen aus der Vergangenheit, ne, also etwas Bekanntes, so ne, was an vielen Stellen ja für viele attraktiv dadurch ist. Aber ich glaube auch, dass die fehlende Vision an ganz vielen Stellen auch ein bisschen diese Zukunftlosig-keit, dass das ein wichtiger Faktor ist. Und vielleicht aber noch mal zu dem Punkt der Enttäuschung und auch dem fehlenden Vertrauen oder Misstrauen. Also das ist ein ganz wichtiger Faktor, natürlich, das ist etwas, wo AfD-Wähler und Wählerinnen ganz massiv auffallen in dieser Enttäuschung.
Andreas Hövermann: Und das wäre ja auch etwas, was ein Klassiker wäre für so etwas wie eine Protestwahl, worüber ja ganz lange immer diskutiert wurde und wird. Die AfD-Wahl ist eine reine Protestwahl und das würde ich an der Stelle absolut ein-schränken, weil ja, es gibt diese große Unzufriedenheit über, die bisherige Politik, wenn man so will, und das große Misstrauen. Aber es ist halt eben keine reine Protestwahl, weil es wird ideologisch gefüllt. Die Übereinstimmung der Wählerschaft der AfD mit den Positionen der AfD ist an vielen Stellen sehr hoch. Und insofern würde Kai Arzheimer, ein Politikwissenschaftler, spricht da von einem ideologisch motivierten Protest. Und ich glaube, das trifft es deut-lich besser an der Stelle, weil wir sehen, insbesondere die Übereinstimmung mit dem Thema Zuwanderungsbegrenzung ist enorm groß bei der AfD und ihrer Wählerschaft.
Marco Herack: Gibt es denn eine Kernzielgruppe für die AfD?
Andreas Hövermann: Ja, also zunächst mal ist es, glaube ich, ganz interessant, sich anzuschauen, inwieweit es jetzt der AfD auch gelungen ist, da Gruppen anzusprechen, die sie vorher nicht angesprochen hat oder weniger stark angesprochen hat. Also es gibt sicherlich die Kernzielgruppe, bei der man sagen kann, die AfD wird, Gewählt überdurchschnittlich häufig von Männern von Befragten mit niedrige-ren Schulabschlüssen oder sagen wir mal zumindest Befragten ohne Abitur. Personen, die eher mittleren Alters sind und auch stärker anteilsmäßig zu-mindest im Osten. Aber gerade wenn man sich anschaut, wo jetzt die Wähler und Wählerinnen herkommen, die eher zuletzt zur AfD gewechselt sind, dann sehen wir, dass da die Zugewinne eher unter Frauen zu finden sind.
Andreas Hövermann: Weiterhin nicht überdurchschnittlich viele Frauen wählen die AfD. Aber gerade wenn man sich diese Gruppe anschaut, die zuletzt zur AfD gewechselt, ist, dann sehen wir erstmalig, dass sich da im Grunde genommen kein großer Geschlechterunterschied mehr zu finden ist. Wohingegen vorher, dass teil-weise zwei Drittel, teilweise sogar noch mehr Männer waren im Vergleich zu Frauen. Also das ist eine Gruppe, die deutlich stärker erreicht wurde von der AfD. Aber wir sehen natürlich auch, wenn wir uns das bezogen auf die Partei oder die Wählerwanderungen anschaut und sich anschaut, was haben die Leute vorher gewählt, die jetzt die jetzt AfD wählen.
Andreas Hövermann: Dann sehen wir, die AfD hat besonders stark von ehemaligen Wählenden demokratischer Parteien gewinnen können. Also vorrangig Union, SPD und FDP fallen da auf. Aber sie hat auch viele Wählende angesprochen, die vor-her nicht gewählt haben. Also die sozusagen sich nicht repräsentiert gefühlt haben womöglich, die bei der Bundestagswahl 2021 nicht zur Wahl gegangen sind. Das heißt, die AfD hat in der Breite tatsächlich Leute ansprechen kön-nen und für sich gewinnen können und 'ne dritte Analyse, die ich da noch ge-macht habe, ist, dass ich mir angeschaut habe, was die Themen sind, die den AfD.
Andreas Hövermann: Wählenden wichtig sind. Also, wir haben da 35-40 Themen Ihnen vorgelegt und Sie sollten einstufen, wie wichtig ist es mir, dass die neue Bundesregie-rung diese Themen angeht. Und was da auffällig ist, ist einerseits ja, für alle AfD-Wählenden ist die Zuwanderungsbegrenzung Thema Nummer 1. Das ist also für alle ist jetzt natürlich sehr veraltet. Gemeinheit, aber wirklich für eine außergewöhnlich hohe Zahl war knapp 90 Prozent. Aber was interessant ist, ist dass bei den Gruppen, die später zur AfD gewechselt sind, stärker auch wirtschaftlich linkere Positionen für wichtig erhalten werden.
Andreas Hövermann: Also das heißt nicht, dass das Zuwanderungsbegrenzungsthema für sie nicht relevant ist, aber insbesondere im Vergleich mit etablierteren AfD-Wählenden fällt auf, die, die neuer dabei sind, können auch wirtschaftlich linkeren Positio-nen etwas abgewinnen. Also beispielsweise die Anhebung des Mindestlohns, die Reform der Schuldenbremse, aber auch so etwas wie die Verringerung der sozialen Ungleichheit. Und das all das zusammengenommen deutet stark darauf hin, dass gemäßigtere Wählendenschichten zuletzt angesprochen werden, konnten, was im Grunde genommen ja auch fast unbedingt passieren muss, wenn so etwas erreicht werden soll, wie eine Verdopplung hin zu 10.000.000 Wählenden in Deutschland.
Marco Herack: Also so wie du es jetzt formuliert hast, würde das halt leider für eine These sprechen, die jetzt auch schon länger im Raum steht oder für zwei sogar. Einmal, es gibt eine Normalisierung der AfD und damit auch der Themen der AfD und wie die AfD diese Themen behandelt. Also immer mehr Leute finden das so okay und / oder tolerieren das oder haben nichts dagegen. Und gleich-zeitig könnte man ja dann vermuten, dass es da dann auch einen Rechtsruck in der Gesellschaft gibt, weil immer mehr Leute dieser Art der Themen Be-handlung und Ansichten zuneigen. Also das wäre dann quasi so 'n, ja man kann es Rechtsruck nennen oder Kippen der Mitte, wie auch immer.
Andreas Hövermann: Ja, und damit beschäftige mich ich mich an vielen, vielen Stellen in der Analy-se und vielleicht, wenn man da noch mal 'n Schritt zurückgeht und sich das Wahlergebnis auf so einer regionalen Perspektive anschaut, dann muss man erst mal attestieren, dass die AfD es geschafft hat, in allen 299 Wahlkreisen, die es gibt, in Deutschland ihr Wahlergebnis in den Zweitstimmen zu verbes-sern. Das heißt, der AfD-Aufstieg, wenn man so will, ist ein über ganz Deutschland verteiltes Phänomen, ob in den Großstädten oder auf dem Land. Das heißt, es ist nicht regional irgendwie zu verorten einfach, sondern an der Stelle sehr, sehr, sehr breit.
Andreas Hövermann: Und was Analysen von Politikwissenschaftlern auch gezeigt hat, ist, dass die AfD wohl dort besonders gut neue Wählende erreicht hat, wo sie ohnehin schon viel gewählt wird, also letztlich in den Hochburgen. Und wenn man das zusammennimmt mit den Befunden, die ich jetzt zeige, kann man da mit einer gewissen Vorsicht auch durchaus sagen, dass dort, wo die Normalisierung der AfD, also wo ihre Positionen normal sind, ne, und wo sich daran nicht mehr gestört wird, ganz stark und die rechte Hegemonie besonders stark wirkt, dass da besonders stark auch Neuwählende hinzugewonnen werden konnten. Und dann kommen wir ganz stark zu diesem Thema: Normalisierung und Mainstreaming.
Bettina Kohlrausch: Aber das würde dann ja auch bedeuten, oder die Ergebnisse sind dann ja auch noch mal wirklich ein starkes Argument dagegen, eben nicht die The-men der AfD zu normalisieren oder aufzugreifen, weil es einfach, wie ja auch schon oft belegt worden ist, das einfach zu einer Verstärkung des Originals führt, der AfD.Wenn man ihre Position normalisiert und 'n Umfeld schafft, in der sie eben einfach auch von breiteren Wählerschichten, dann mit ihren Ext-rempositionen erreicht werden können, weil diese Position einfach auch und das muss man glaub ich immer wieder sagen, auch durch die Parteien der vermeintlichen Mitte oder der demokratischen Parteien normalisiert worden sind.
Bettina Kohlrausch: Und ich fand, das war was im Wahlkampf. Total extrem passiert es sowieso natürlich durch die CDU, aber auch durch die SPD und ganz zum Schluss mit diesem Zehn-Punkte-Plan, ja auch noch mal von Robert Habeck, dass man wirklich den Eindruck bekommen konnte, dass es 'n breiten gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass die Eingrenzung der Migration die zentrale gesell-schaftliche Herausforderung ist und dann natürlich in unterschiedlicher Tonali-tät, aber bis weit in die Mitte hinein, wurde, finde ich, auch in einer inakzep-tablen Art über diese Problematik gesprochen.
Bettina Kohlrausch: Und man sieht ja 'n Stück weit jetzt auch, und das zeigen dann eben auch Andreas' Befunde, wohin das führt. Das führt nämlich dazu, dass man diese Themen normalisiert, dass man diese politischen Perspektiven normalisiert und am Ende damit antidemokratische Kräfte stärkt.
Andreas Hövermann: Ja, und wir haben genau diese Befunde drin der Studie. Also, wir haben uns angeschaut, inwieweit die Einstellungen zu beispielsweise Zugewanderten und Bürgergeldempfängern sich verändern oder wie sie erst mal ausgeprägt sind. Und dann verwundert natürlich als Erstes der der Befund erst mal sehr, sehr wenig, dass wir sehen, na klar, unter den AfD-Wählern sehen wir kaum Solidarität. Das ist noch sehr beschönigend ausgedrückt mit Zugewanderten und aber auch mit Bürgergeldempfängern. Aber was man ganz stark sieht, ist, dass das Thema Migration das Thema ist, das mobilisiert, und zwar in allen die AfD wählenden Gruppen. Ich hab mir reiche AfD Wähler, ärmere AfD Wähler, ich hab mir Frauen, Männer, ich hab alle miteinander verglichen, wenn man so will und man sieht in allen diesen Untergruppen von AfD Wäh-lenden ist Migration, Zuwanderungsbegrenzung ist das Thema Nummer 1.
Andreas Hövermann: Und man kann hier ganz klar sagen, dass es der AfD gelungen ist, nicht nur das Thema Migration als dominierendes Thema medial und politisch zu posi-tionieren, also ganz erfolgreiches Agenda-Setting zu betreiben, sondern halt auch genau, wie du es beschrieben hast, Bettina, die Position etablierter Par-teien an diesen Stellen zu radikalisieren, sodass diese ihre Position und Deu-tungsrahmen im Grunde an vielen Stellen übernommen haben. Und was die Zahlen jetzt zeigen in meiner Studie ist, dass dieser Rechtsruck, wenn man ihn so nennen will, für die SPD und die FDP keineswegs zu Stimmengewin-nen von der AfD geführt haben.
Andreas Hövermann: Am Ende des Tages auch nicht bei der Union. Bei der Union sehen wir durch-aus zwischenzeitliche beziehungsweise durchaus Zugewinne von zwischen-zeitlichen AfD-Anhängerinnen. Aber insgesamt ist das ein Nettoverlust, den die Union da auch gemacht hat, wenn man so will. Also ganz klar, dieser Be-fund, dass das Übernehmen der extrem rechten Position am ehesten dem Original nutzt im Grunde. Und ein letzter Punkt, vielleicht an der Stelle, dass man sagen kann, dass dieser Rechtsruck auch zu einer Legitimierung und einer Aufwertung extrem rechter Positionen geführt hat.
Andreas Hövermann: Weil ein Befund, den wir drin haben, ist, dass wir, wenn man sich alle Befrag-te anschaut und eben nicht nur die AfD-Wählenden, dann sehen wir ebenfalls eine erhebliche Eintrübung der Einstellung zu Geflüchteten im Zeitverlauf. Und das ist nicht nur so etwas wie, wir können nicht mehr Geflüchtete auf-nehmen, sondern das sind teilweise auch wirklich relativ hartes Einfordern von Etablierten vor Rechten. So etwas wie, die Geflüchteten sollten sich in Deutschland erstmal hintenanstellen. Das sind alles Einstellungen, Stellungen oder Aussagen, die im Zeitverlauf auch deutlich stehen, im Zeitverlauf auch deutlich stärker von Befragten zugestimmt werden, die nicht die AfD wählen. Das heißt, wir sehen hier insgesamt auch eine Eintrübung der Einstellung.
Bettina Kohlrausch: Was Andreas hier rausgearbeitet hat, sind natürlich auch wirklich noch mal neue Befunde, weil wir einfach noch mal so gut zeigen konnten, wie diese neuen Milieus sich zusammensetzen oder in welche Schichten er vordringen konnte. Aber der Mechanismus, der hier erneut nachgezeichnet wird, der ist ja echt nicht neu. Und ich weiß wirklich nicht, was man noch machen soll, um demokratischen Parteien zu erklären, dass die Übernahme von AfD Positio-nen einfach keine gute Idee ist und exakt überhaupt nichts bringt.
Bettina Kohlrausch: Ich muss jetzt einfach auch mal meiner ganz persönlichen Frustration über diesen Zustand und die Tatsache Ausdruck bringen, weil wir ja auch Politikbe-ratung machen, und man hätte es vorher wissen können. Man hätte es wirk-lich vorher wissen können. Es ist trotzdem wichtig, es jetzt noch mal zu do-kumentieren, man kann wirklich nur hoffen, wenn jetzt immer wieder betont wird, das ist unsere letzte Chance und so weiter, dass ich es endlich mal, verstanden haben. Die aktuellen Debatten über Migration zeigen das eher nicht. Ja, und es ist auch spannend, also find ich noch mal, dass bei der SPD nicht genutzt hat, es hat aber auch der CDU nicht genutzt.
Bettina Kohlrausch: Das ist ja auch wirklich noch mal 'n total interessanter Befund, der aber offen-sichtlich in keinster Weise durchdringt, so dass das natürlich einerseits ir-gendwie schön ist, dass wir diese sehr gute Forschung machen können und andererseits frustrierend, wenn sie wegen der Verweigerung, sie zur Kenntnis zu nehmen, wirklich in bestimmten, also wenig, politische Relevanz entfaltet. Ein kleiner emotionaler Zwischenruf von mir.
Andreas Hövermann: Also ich glaube, was man sich klarmachen muss und was wir uns klarmachen müssen, ist, dass die AfD, ein bisschen platt gesagt, hier ist, um zu bleiben. Also es gibt, glaube ich, relativ wenig kurzfristige Lösungen, die helfen und es gibt auch wahrlich keine Patentrezepte. Und das ist an der Stelle, glaube ich, wichtig, sich erst mal klarzumachen. Ich glaube, es gibt schon verschiedenste Möglichkeiten, an denen man ansetzen kann. Es gibt die unterschiedlichen Ebenen von Zielen sozusagen, die man haben kann, ne? Man kann das Ziel haben, man will AfD-Wählende wieder zurückgewinnen. Man kann die demo-kratischen Parteien stärken, aber ich glaube, was ganz besonders relevant momentan ist, vor allem die liberale Demokratie zu stärken, die so stark gera-de angegriffen wird, wenn man so will.
Andreas Hövermann: Und ich glaube, was ganz wichtig ist, sich klarzumachen, ist auch, dass man die tieferliegenden Ursachen bekämpfen muss. Bedenken, dass man im Grunde genommen, dass die Begründungen der Wählenden nicht zwangsläu-fig auch die Gründe sind. Das finde ich, ist auch immer eine wichtige Logik, die man sich klarmachen kann, weil die Begründung, die die Wählenden vor-schieben, ist ganz stark für alles. Die Schuld hat an vielen Stellen die Migrati-on. Aber was sind eigentlich die Gründe, die dahinterliegen? Was sind eigent-lich die dahinterliegenden Ursachen für die Verbitterung, die Wut und die sich dann letztlich im Ressentiment äußern. Also ob es so etwas wie, der Reprä-sentation ist Entwürdigungserfahrung, Ohnmacht, Verunsicherung.
Andreas Hövermann: All diese Punkte. Zukunftslosigkeit habe ich eben auch schon angesprochen. Also diese echten Probleme müssen angegangen werden. Wir haben jetzt die Investitionen in die soziale Infrastruktur, die angedacht sind. Die können si-cherlich, glaube ich, hier wirken, da alle davon profitieren im besten Fall. Und da sie vielleicht im besten Fall auch so etwas wie eine Aufbruchstimmung ent-falten können, etwas, was dringend nötig ist, auch um so etwas wie eine posi-tive Perspektive zu entfalten.
Marco Herack: Ich würde vielleicht noch, eine Sache ergänzen wollen als Gedanken, über den man bei der Debatte auch mal nachdenken muss, wenn man über Ost-deutschland redet, weil Ostdeutschland hat ja im Grunde die schlimmste Kri-senerfahrung gemacht, die es in Gesamtdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gab, nämlich nach der Einheit, den Abbruch von 75 bis 80 Prozent der Industrieproduktion. Das heißt, für die Menschen dort könnte es sein, dass es gar nicht so sehr um die aktuelle Krise oder die aktuellen Krisen, die dann hintereinander so kamen, geht, sondern eher um die Angst, wieder in dieser großen Krise zu enden.
Marco Herack: Und ich glaube, dann würde man noch mal eine ganz andere Debatte führen und darüber müsste man auch noch mal nachdenken, ob da quasi auch noch ein Ost-West-Differenz bei der Krisenwahrnehmung ist. Ich finde das Thema hier so spannend und wir haben da noch super viel, also nicht wir, Andreas vor allen Dingen, mit seiner Ausarbeitung, dass wir das Thema noch mal auf-greifen werden. Wir haben jetzt so ein paar Sachen noch nicht besprechen können, aber, an der Stelle schon mal vielen Dank an euch beide, Bettina Kohlrausch und Andreas Hövermann, dass ihr euch die Zeit genommen habt. Vielen Dank für das Gespräch.
Andreas Hövermann: Sehr gern.
Bettina Kohlrausch: Danke Dir.
Marco Herack: Wenn ihr dazu noch ein paar Gedanken habt zu diesen, glaube ich, nicht sehr unwichtigen Themen und der Komplexität, die da drinsteckt, dann sendet sie uns per E-Mail an systemrelevant@boeckler.de. Also Hinweise, Korrekturen, Unmut und Anregungen bitte per E-Mail und in den Shownotes findet ihr die Liste der sozialen Netzwerke sowie unsere weiteren Podcasts. Derer haben wir zwei und wir freuen uns natürlich sehr, wenn ihr uns, einen Podcatcher eurer Wahl abonniert und keine Folge verpasst. In dem Sinne, vielen Dank fürs Zuhören, euch eine schöne Zeit und bis nächste Woche. Tschüss.
Einsprecher: Das war Systemrelevant. Fakten für eine demokratische und nachhaltige Wirtschaft.
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